Massiver Anstieg nach dem 7. Oktober; Campus-Vorfälle verdreifachten sich; Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen stiegen um das Zehnfache
New York, NY, 16. April 2024 … Die jüdische Gemeinde in den USA erlebte im vergangenen Jahr einen beispiellosen Anstieg antisemitischer Vorfälle, der die Zahl aller antisemitischen Vorfälle in den letzten 45 Jahren bei weitem übertraf. Dies ist teilweise auf die massive Zunahme antisemitischer Reaktionen auf das Massaker vom 7. Oktober in Israel und den andauernden Krieg in Gaza zurückzuführen.
Die ADL (die Anti-Defamation League [Anti-Diffamierungs-Liga]) hat heute die endgültige Statistik für antisemitische Vorfälle im Jahr 2023 veröffentlicht. Demnach gab es landesweit insgesamt 8.873 Vorfälle von Übergriffen, Belästigungen und Vandalismus. Insgesamt entspricht dies einem Anstieg um 140 Prozent gegenüber 2022 - einem Jahr, das bereits einen Rekord darstellt - und dem höchsten Stand seit Beginn der Erfassung dieser Daten durch die ADL im Jahr 1979.
Das ADL Audit of Antisemitic Incidents [eine Auswertung antisemitischer Vorfälle der ADL] verzeichnete auch einen dramatischen Anstieg von 5.204 antisemitischen Handlungen nach dem 7. Oktober, was globale Trends widerspiegelt, da jüdische Gemeinden weltweit als Reaktion auf das Massaker und den Konflikt mit verstärkten Spannungen und Hass konfrontiert waren - auf dem Campus von Schulen und Universitäten, auf öffentlichen Plätzen und bei Anti-Israel-Demonstrationen. Mit diesen Vorfällen übertraf die Gesamtzahl für die zwölf Monate des Jahres 2023 die Gesamtzahl der letzten drei Jahre zusammen und lag im Durchschnitt bei etwa 24 antijüdischen Vorfällen pro Tag in den USA.
Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse forderte die ADL heute die US Gouverneur:innen im ganzen Land dazu auf, auf US-Bundesstaatenebene ihre eigenen Versionen der bahnbrechenden National Strategy to Counter Antisemitism des Weißen Hauses [landesweite Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus] auszuarbeiten - der ersten umfassenden Anstrengung dieser Art, um Antisemitismus über das gesamte politische Spektrum hinweg zu bekämpfen.e
„Antisemitismus ist nichts weniger als ein nationaler Notstand, ein Brand der Alarmstufe fünf, der immer noch im ganzen Land und in unseren lokalen Gemeinden und Universitäten wütet“, so Jonathan Greenblatt, der CEO der ADL. „Jüdische Amerikaner:innen werden in der Schule, bei der Arbeit, auf der Straße, in jüdischen Einrichtungen und sogar zu Hause wegen ihrer Identität zur Zielscheibe gemacht. Diese Krise erfordert sofortiges Handeln in allen Bereichen der Gesellschaft und in allen US-Bundesstaaten. Jede:r Gouverneur:in muss eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus entwickeln und umsetzen, so wie es die Regierung auf nationaler Ebene getan hat.“
Nach Angaben des ADL Center on Extremism, das die Audit-Forschung und -Datenerhebung leitet, haben die Vorfälle in allen drei Kategorien zugenommen: Die Zahl der Belästigungen stieg im Vergleich zu 2022 um 184 Prozent, Vandalismusvorfälle erhöhten sich um 69 Prozent und körperliche Übergriffe um 45 Prozent.
Wichtige Ergebnisse
Im Jahr 2023 zählte die ADL antisemitische Vorfälle in allen 50 US-Bundesstaaten und im District of Columbia. Bei der Audit werden die Vorfälle in drei Kategorien eingeteilt:
- Übergriffe: 161 Vorfälle wurden als Übergriffe kategorisiert, d. h. als Fälle, in denen jüdische Personen (oder Personen, die als jüdisch wahrgenommen werden) mit physischer Gewalt angegriffen wurden, begleitet von Hinweisen auf antisemitische Animosität. Im Vergleich zu 2022 war dies ein Anstieg von 45 Prozent. Bei den meisten antisemitischen Übergriffen (141 von 161) kam keine tödliche Waffe zum Einsatz. Auf orthodoxe Jüdinnen und Juden entfielen landesweit 34 Prozent der tätlichen Angriffe. Die 161 Übergriffe betrafen 196 Opfer, von denen keines zu Tode kam.
- Belästigungen: 6.535 Vorfälle wurden als Belästigung eingestuft, bei denen jüdische Personen (oder Personen, die als jüdisch wahrgenommen werden) mit antisemitischen Beleidigungen, Stereotypen oder Verschwörungstheorien belästigt wurden. Belästigungen haben sich um 184 Prozent erhöht - von 2.298 Vorfällen im Jahr 2022.
- Vandalismus: 2.177 Vorfälle wurden als Vandalismus eingestuft – also Fälle, bei denen es zu Sachschäden kam und Beweise für eine antisemitische Absicht vorlagen oder die eine antisemitische Wirkung auf Juden hatten. Antisemitischer Vandalismus stieg um 69 Prozent gegenüber den 1.289 im Jahr 2022 gemeldeten Fällen. Bei 1.117 dieser Fälle waren Hakenkreuze vorhanden, die allgemein als Symbole von Judenhass interpretiert werden – ein Anstieg von 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
1.987 Vorfälle richteten sich gegen jüdische Einrichtungen, wie Synagogen, jüdische Gemeindezentren und jüdische Schulen – ein Anstieg von 237 Prozent von 589 im Jahr 2022. Dieser signifikante Anstieg ist zum Teil auf die dramatische Zunahme antisemitischer Bombendrohungen zurückzuführen, von denen die überwiegende Mehrheit im Herbst Synagogen betraf. Insgesamt waren Synagogen im Jahr 2023 von 73 Prozent aller Vorfälle betroffen, die auf jüdische Einrichtungen abzielten.
Antisemitische Aktivitäten, die auf dem Campus von Colleges und Universitäten gemeldet wurden, nahmen gegenüber 2022 um 321 Prozent zu. An nicht-jüdischen Schulen [Kindergarten bis 12. Schuljahr] wurden 1.162 Vorfälle gemeldet - ein Anstieg von 135 Prozent.
Die Staaten mit der höchsten Anzahl an Vorfällen waren Kalifornien (1.266), New York (1.218), New Jersey (830), Florida (463) und Massachusetts (440). Auf diese fünf Staaten zusammen entfielen 48 Prozent aller Vorfälle.
„Trotz dieser beispiellosen Herausforderungen dürfen die amerikanischen Jüdinnen und Juden der Angst nicht die Oberhand geben“, sagte Greenblatt. „Selbst während wir die Geißel des Antisemitismus bekämpfen, sollten wir stolz auf unsere jüdische Identität sein und selbstbewusst unseren Platz in der amerikanischen Gesellschaft einnehmen. Wir haben weit mehr Verbündete als Feinde, auch wenn sich dies momentan vielleicht nicht so anfühlt. Und wir appellieren an alle philanthropischen Menschen, sich mit ihren jüdischen Freund:innen und Nachbar solidarisch zu erklären. Wir brauchen Ihre Unterstützung und Ihren Beistand.“
Propaganda der weißen Vorherrschaft
Der Bericht stellt auch eine Zunahme der Aktivitäten organisierter, der White Supremacy zugehörigen Gruppen fest, die im vergangenen Jahr für 1.160 Fälle antisemitischer Propagandaverbreitung verantwortlich waren - ein Anstieg gegenüber den 852 Propagandavorfällen, die im Jahr 2022 weißen suprematistischen Gruppen zugeschrieben wurden.
Bombendrohungen und Swatting
Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen haben drastisch zugenommen – insgesamt wurden mit 1.009 Bombendrohungen die höchste jemals verzeichnete Zahl und damit eine Erhöhung um mehr als 1.000 Prozent von 91 im Jahr 2022 gemeldet.
Darüber hinaus wurde Swatting zunehmend als Taktik verwendet, um Minderheiten einzuschüchtern und zu belästigen, wobei 101-Swatting-Vorfälle auf jüdische Einrichtungen gerichtet waren.
„Diese enorme Anzahl an Vorfällen, die wir 2023 dokumentiert haben, nahm viele Formen an, einschließlich Bombendrohungen und Swatting-Kampagnen, die alle mit dem Ziel durchgeführt wurden, die Community zu terrorisieren, indem sie Gottesdienste und Aktivitäten in Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen im ganzen Land störten“, so Oren Segal, Vice President des ADL Center on Extremism. „Unsere Verfolgung eines Swatting-Netzwerks ermöglichte es der ADL, den Strafverfolgungsbehörden wichtige Informationen zur Verfügung zu stellen, um die Täter:innen zur Rechenschaft zu ziehen. Gleichzeitig konnten die Zielgruppen präventiv gewarnt und potenzieller Schaden gemindert werden.“
Antizionismus und Zwischenfälle bei Anti-Israel-Protesten
Von den 8.873 Vorfällen im Jahr 2023 wiesen 3.162 (36 Prozent der Gesamtzahl) speziell Elemente auf, die sich auf Israel oder den Zionismus bezogen. Dies ist wesentlich höher als die im Jahr 2022 gemeldeten 241 Vorfälle, die 6,5 Prozent der Vorfälle insgesamt ausmachten.
Israelbezogene antisemitische Vorfälle fanden zumeist in öffentlichen Bereichen statt – 1.540 Vorfälle ereigneten sich an Orten wie Büchereien, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße. Weitere 644 israelbezogene Vorfälle fanden auf dem Campus von Colleges und Universitäten statt. Jüdische Einrichtungen waren in 377 Fällen Ziel israelbezogener Vorfälle und 156 israelbezogene Vorfälle ereigneten sich in Schulen.
Unmittelbar nach dem 7. Oktober begannen viele anti-israelische Organisationen Proteste und Kampagnen in allen Teilen der Vereinigten Staaten, die sich bis Ende 2023 fortsetzten. Zu der bei diesen Kundgebungen verwendeten Rhetorik gehörte unter anderem die Förderung klassischer antisemitischer Tropen, die Gleichsetzung des Judentums oder des Zionismus mit dem Nationalsozialismus, die unverblümte Unterstützung von Terrorismus, die Verherrlichung terroristischer Gruppen und des extremen Antizionismus.
Methodik
In der ADL Audit sind strafbare und nicht strafbare Handlungen der Belästigung und Einschüchterung enthalten, wie unter anderem die Verbreitung von Hasspropaganda, Drohungen und Beschimpfungen sowie Vandalismus und Übergriffe. Das Audit wurde aufgrund von Informationen von Opfern, Strafverfolgungsbehörden und führenden Personen in der Community zusammengestellt und von Fachleuten der ADL ausgewertet. Dadurch ergibt sich eine regelmäßige Momentaufnahme eines bestimmten Aspekts der jüdisch-amerikanischen Erfahrung, während durch die gemeldeten Aktivitäten gleichzeitig mögliche Trends identifiziert werden.
Die Zahlen des ADL-Audit 2023 enthalten 1.350 Vorfälle, die aufgrund einer Aktualisierung der Methodik nach dem 7. Oktober berücksichtigt wurden (siehe Methodology in the Audit [Methodik beim Audit]). Ohne die im Rahmen der Methodenaktualisierung einbezogenen Vorfälle hat die ADL 7.523 Vorfälle erfasst, was einem Anstieg der antisemitischen Vorfälle um 103 Prozent gegenüber der Gesamtzahl der Vorfälle im Jahr 2022 entspricht.
Der vollständige Datensatz zu antisemitischen Vorfällen für die Jahre 2016 bis 2023 kann auf der H.E.A.T. Map von ADL aufgerufen werden. Dies ist ein interaktives Online-Tool, wodurch Nutzer antisemitische Vorfälle und extremistische Aktivitäten geografisch darstellen können.
Das Audit ist eine Momentaufnahme der Art und Weise, auf die amerikanische Juden mit Antisemitismus konfrontiert werden. Für ein volles Verständnis des Antisemitismus in den USA bedarf es jedoch auch anderer Analyseformen, wie öffentlicher Meinungsforschung, der Auswertung von Online-Antisemitismus und Untersuchungen extremistischer Aktivitäten, die in anderen Berichten der ADL enthalten sind, wie der ADL Survey of Antisemitic Attitudes in America 2024, Campus Antisemitism: A Study of Campus Climate Before and After the Hamas Terrorist Attacks, ADL Global 100, Online Hate and Harassment: The American Experience, Murder and Extremism und White Supremacist Propaganda.